Gewerbeordnung 1859 bis 2019: Was davon übrig bleibt

Jakob Wieser-Linhart ist Betriebsanlagen-Berater für die Culinarius-Gruppe.

Betriebsanlagen-Profi Jakob Wieser Linhart gibt in seinen nun regelmäßig erscheinenden Kolumnen Einblicke in Entwicklungen und Neuheiten in seinem Sektor.
Teil 1 beschäftigt sich mit der Entstehung der österreichischen Gewerbeordnung. 

Grundstein: Kaiserliches Patent

„Von der Absicht geleitet, die gewerbliche Betriebsamkeit in unserem Reiche gleichmäßig zu regeln und möglichst zu erleichtern, haben nach Vernehmung Unserer Minister und nach Anhörung Unseres Reichsrathes, der nachfolgenden Gewerbe-Ordnung Unsere Genehmigung ertheilt und verordnen, wie folgt: …“ – Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich, Jahrgang 1859, Seite 619.

Erzherzog Franz Joseph Karl von Österreich (Franz Joseph I.), Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn sowie König von Böhmen setzte durch sein „Kaiserliches Patent vom 20. December 1859“ den Grundstein zur schon damals modernen Gewerbeordnung. Diese findet in überarbeiteter Form (GewO 1994) auch heute noch ihre berechtigte Anwendung. Während sich Mitteleuropa von der bürgerlich-demokratisch motivierten Revolution von 1848, welche aus Frankreichs Februarrevolution entsprang, erholte, wurde er als 18- Jähriger am 2. Dezember 1848, auf Wunsch seiner Familie, zum Kaiser von Österreich gekrönt.

In Franz Josephs Fokus: Geregelte Wirtschaftsstrukturen

Er erkannte die Wichtigkeit einer geregelten Wirtschaftsstruktur und erarbeitete gute 10 Jahre nach seiner Thronbesteigung gemeinsam mit seinen getreuen Ministern sein zukunftsweisendes Patent „womit eine Gewerbe-Ordnung für den ganzen Umfang des Reiches, mit Ausnahme des venetianischen Verwaltungsgebietes und der Militärgrenze, erlassen, und vom 1. Mai 1860 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird.“ Dadurch wurden nicht nur freie und konzessionierte Gewerbetätigkeiten definiert, verpflichtende Arbeitszeitaufzeichnungen festgelegt sondern auch erste Verwaltungs- und Kontrollmechanismen festgeschrieben. Diese treten noch heute bei Aufsichtsräten und Vorständen von Aktiengesellschaften und Genossenschaften in Erscheinung .

Original-Patent seit 1927 verschollen

Die erste Republik Österreich, geschrumpft und in ihren Grundfesten erschüttert, konnte sich kaum aus den Nachwehen des ersten Weltkrieges erholen und auch das Originaldokument des majestätischen Patentes der Gewerbe-Ordnung gilt seit dem großen Brand im Justizpalast vom 15. Juli 1927 als verschollen und fiel womöglich den Flammen zum Opfer. Lediglich Arbeitsunterlagen zu den Vorarbeiten sind im österreichischen Staatsarchiv noch aufzufinden.  Da beim Brand vor allem die Indexbücher vernichtet wurden, blieb das bürokratische Betriebssystem Österreichs nur noch rudimentär erhalten und war nicht mehr komplett funktionstüchtig.

Ära Kreisky II: 1. Novellierung

Unter der Regierung Kreisky II (1971 – 1975) wurde in einer ersten Novellierung bzw. Neufassung der Gewerbeordnung von 1973 in § 1 erfolgreich verfasst: „(6) Bei Vereinen gemäß dem Vereinsgesetz 1951 liegt die Absicht, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, auch dann vor, wenn die Vereinstätigkeit das Erscheinungsbild eines einschlägigen Gewerbebetriebes aufweist und diese Tätigkeit – sei es mittelbar oder unmittelbar – auf Erlangung vermögensrechtlicher Vorteile für die Vereinsmitglieder gerichtet ist. Übt ein Verein gemäß dem Vereinsgesetz 1951 eine Tätigkeit, die bei Vorliegen der Gewerbsmäßigkeit in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes fiele, öfter als einmal in der Woche aus, so wird vermutet, daß die Absicht vorliegt, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen.“, Dadurch hätte eine Gewinnorientierung von Vereinsstrukturen und deren Akteuren ausgeschlossen werden sollen.

Ära Vranitzky III: Umfassende Novellierung

Nach weiteren Gewerberechtsnovellierungen, etwa 1988 unter Vranitzky II (1987 – 1990) gelang der große Wurf der Novellierung der Gewerbeordnung im Jahr ebenfalls unter Vranitzky III (1990 – 1994), der Geburtsstunde der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994).  Diese besitzt noch heute Gültigkeit und war so erfolgreich, dass sie Vranitzky zu einer 4. Und 5. Amtszeit verhalf, wodurch er bis zum 28. Jänner 1997 im Amt blieb. Dort wurde er dann von der Regierung Klima I (1997 – 2000), gefolgt von Schüssel I (2000 – 2003) und Schüssel II (2003 – 2007) abgelöst.

Seit 1994 unverändert

Seit 1994 gab es bis dato keine substanziellen Veränderungen der Gewerbeordnung mehr, nur noch fortlaufende kosmetische Eingriffe in Form von ergänzenden Verordnungen oder teilweiser Aufhebungen, Abänderungen oder Ergänzungen verschiedener Paragraphen. Es wird sich herausstellen, wie eine neue Regierung Kurz II mit dem stets heißen Eisen der Gewerbeordnung umgehen wird, wie und ob er dieses, zu einem bürokratischen Ungetüm herangezüchtetes Regelwerk, unter Kontrolle bringen kann. Auf jeden Fall stellt sich eine bundesweite Gewerbeordnung als Kit zwischen der Gesellschaft und der Wirtschaft heraus, da sie sowohl die Bedürfnisse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch sonstiger Akteuren der gewerblichen Betriebsamkeit zu berücksichtigen versucht.

Ich werde hier in regelmäßigen Abständen über die Entwicklungen und Neuerungen aus dem Spannungsfeld der bürokratischen Theorie und Praxis berichten, aber auch zur Herkunft und Geschichte verschiedener gesetzlicher Regelwerke meine Meinung kundgeben.