Vom Strukturwandel hin zur digitalen Zukunft

Felicitas Call

Marion Pulker, neuer Präsident des Kulinarischen Erbe Österreichs © Wolfgang Prummer

Mario Pulker ist selbst Gastwirt und vertritt als Obmann des Fachverbandes Gastronomie die Interessen aller österreichischen WirtInnen in der Wirtschaftskammer. Im Interview sprechen wir exklusiv über den Status Quo der Branche und die Wahl zu Österreichs beliebtestem Gastwirt.

Gastro News: Die Anzahl der „klassischen“ Wirtshäuser geht zurück, während immer mehr internationale Restaurants aufsperren. Wie ist Lage der österreichischen Wirte heute?

Mario Pulker: Grundsätzlich setzt sich dieser Trend in ganz Europa, auch in Österreich fort. 1950 hatte der Fachverband etwa 30.000 Mitglieder, heute sind es knapp 60.000. Die Zahl hat sich zwar verdoppelt, aber das klassische Land- oder Dorfwirtshaus gibt es immer seltener, da haben wir in den letzten Jahren ca. 10.000 verloren.

Das ist ein gegenläufiger Trend, denn seit den 1970er Jahren steigt die Anzahl der Restaurant-Eröffnungen an. Bezogen auf die gesamte Branche ist das Wirtshaussterben als Symptom eines Stukturwandels zu sehen.

Gastro News: Stichwort Strukturwandel, Fachkräftemangel und Nichtrauchergesetz, das waren die Stolpersteine der letzten Jahre. Womit haben Gastwirte heute zu kämpfen?

Mario Pulker: Diese Hindernisse ziehen sich bis heute durch, hinzu kommt die steigende Bürokratie. In anderen Branchen war es immer schon üblich, Mitarbeiter zu haben, die administrative Tätigkeiten übernommen haben, die Angebote und dergleichen gemacht haben, bei Ausschreibungen mitgemacht haben – all das hat der Gastwirt früher nicht machen müssen. Früher ist der Gastwirt an der Schank gestanden und hat sich um den Gast gekümmert und hatte dabei noch relativ wenige Auflagen zu erfüllen. Das hat sich in den letzten Jahren auch durch den EU-Beitritt massiv geändert. Die Zeit, die man im Betrieb verbringt muss mit den Deckungsbeiträgen übereinstimmen. Die junge Generation will die Betriebe oft nicht mehr übernehmen, wodurch die Landgastronomie immer weniger wird. Dazu kommt noch ein starker Konkurrenzkampf. Mein Großvater hat in seinem Dorfgasthaus als einziger einen Fernseher besessen, daher kamen alle zum Fernsehen zu ihm. Außerdem hatte er eine Konzession zum Bierverkauf, das heißt er hat als Gastwirt auch den Gassenverkauf von Alkohol mitbetreut– alles lief über den Gastwirt.

Ein weiteres Hindernis ist die sogenannte „Paragastronomie“, Vereinsfeste und Zeltfeste haben überhandgenommen und graben dadurch Landgastwirten zusätzlich das Wasser ab. Wer früher ein Gasthaus am Land aufsperren wollte, hat die Bewilligung der Landesregierung gebraucht. Die sogenannte Bedarfsprüfung hat es bis 1973 gegeben. Wenn kein Bedarf war, durfte niemand aufsperren – ähnlich wie bei den Apotheken. Das wurde eher restriktiv gehandhabt, dafür ist es den Betrieben noch gut gegangen. Bei der heutigen Liberalisierung kann jeder alles machen, aber der Preiskampf ist hart.

Gastro News: Was könnte die Branche besser machen, um junge Leute für die Gastronomie zu begeistern?

Mario Pulker: Wir sind die Branche mit den meisten Quereinsteigern und sind eine sehr junge Branche. Daher haben wir eigentlich das umgekehrte Problem, dass die Leute im Alter die Branche verlassen. Vereinbarkeit von Job und Familie ist nach wie vor ein Problem, aber daran können wir nichts ändern. Man kann am Wochenende nicht zusperren, denn da gibt es das meiste Geschäft – das muss man sich eingestehen, das gilt auch für die Gewerkschaft, die immer wieder verpflichtende freie Tage am Wochenende fordert.

Es ist aber nicht so, dass wir keine Gegenangebote machen würden; in Bezug auf die Anrechnung von Pflege- und Karenzzeiten haben wir konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Es gibt rund 240.000 Beschäftigte in der Gastronomie, aber wir sind klein strukturiert, das heißt die Eigentümer arbeiten auch mit. Wenn jemand ausfällt, sind Nachbesetzungen schwierig, auch weil es zu wenige Fachkräfte gibt.

Gastro News: Derzeit läuft die Wahl zu Österreichs beliebtesten Gastwirten. Wer wird dieses Jahr das Rennen machen?

Mario Pulker: Das ist schwierig (lacht). Grundsätzlich freuen wir uns, dass wir bei der heutigen Ausschreibung doppelt so viele Nominierungen bekommen haben wie im letzten Jahr. Normalerweise ist die Wahl zum „Sportler des Jahres“ das publikumswirksamste Voting – die haben wir bereits überholt. Damit sieht man, dass die Bedeutung des Gastwirts wächst. Es wäre schön, wenn Gasthäuser am Land genauso gefördert werden, wie kulturelle Einrichtungen. Wenn eine Gemeinde einen Gastwirt haben will, muss sich die öffentliche Hand um die Unterstützung kümmern.

Gastro News: Was zeichnet die österreichische Gastronomie aus?

Mario Pulker: Die österreichische Gastronomie zeichnet sich in erster Linie durch ihre Gastgeber und Betreiber aus. Da gibt es sehr viele Unikate, das sieht man natürlich auch bei den Stammgästen, die in ihrem Gastgeber einen echten Ansprechpartner sehen. Ins Café Bellaria kommen viele nur wegen Charly Kotzina. Er ist einer dieser Unikate. Diese Berufung kann man nicht lernen.

Gastro News: Was können Gastronomen tun, um sich eine loyale Stammkundschaft aufzubauen?

Mario Pulker: Diese Frage stellen sich viele, doch es ist ganz einfach: du musst freundlich sein und eine gute Qualität liefern, sowohl was die Getränke als auch was die Speisen betrifft. Dazu brauchst du gute Mitarbeiter und du musst selbst Gastgeber sein. Bei Betriebsbesuchen, sieht man auf den ersten Blick, ob es in einem Betrieb rund rennt oder nicht. Leider ist man oft selbst betriebsblind. Natürlich tut man sich überall dort leichter, wo man mehr Leute erreicht. Am Land, wo es weniger Einwohner gibt, ist es immer schwieriger.

Gastro News: Worauf müssen Wirte achten, wenn sie einen neuen Betrieb eröffnen?

Mario Pulker: Als Kammerorganisation raten wir immer dazu, sich um die Genehmigung der Betriebsanlagen zu kümmern und sich mit der zuständigen Fachgruppe in Verbindung zu setzen und die Unterlagen von der Kammer prüfen  zu lassen. Wir unterstützen gerne sowohl rechtlich als auch in der Praxis. Wer seinen Traum mit der Eröffnung einer Suppen-Bar verwirklichen möchte, kommt an Betriebswirtschaftlichkeit nicht vorbei. Dazu muss man ein Produkt auf den Markt bringen, das der Markt auch verlangt.

Gastro News: Wie kann sich die Branche fit für die Zukunft machen?

Mario Pulker: Im Bereich der Digitalisierung sind wir Vorreiter, denn als Restaurant kommt man ohne digitale Medien nicht weiter. Jeder bucht sich heute seinen Tisch online mit Uhrzeit und Personenanzahl. Das unterstützen wir in der Kammer auch, da sind schon viele Dinge passiert und es entwickelt sich auch rasant weiter. Wir haben eine Datenbank mit Rezepten und den dazugehörenden Allergenen finanziert. Demnach ist die Gastronomie sehr wohl im digitalen Zeitalter angekommen, auch was die Ausstattung der Betriebe angeht. Gewisse Küchengeräte sind bereits vollelektronisch im Einsatz, das spart Zeit.

Soziale Medien sind Fluch und Segen: Besser man nimmt teil und nutzt sie für sich. Vor zwei Monaten hatten wir eine Veranstaltung über den Umgang mit Bewertungsplattformen, die sehr gut ankam. Die Problematik sind hier „gefakte“ Bewertungen, diese werden leider immer mehr. Gerade bei solchen Fällen sind wir als Interessensvertretung gefordert und haben durch die vielen Mitgliedsbetriebe einen guten Zugang zu den Plattformbetreibern.

Herzlichen Dank für das Gespräch!