Völlig losgelöst

Philipp Stottan

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Von Peter Dobcak

Nur sehr selten habe ich mich in meinen Kolumnen kritisch gegenüber der Beamtenschaft geäußert. Hunderte von Gesetzen und Vorschriften, die bei der Beurteilung eines Projektes zu berücksichtigen sind, ungeduldige Projektwerber und meterhohe Aktenberge sind des Beamten täglich Brot. Leicht ist diese Tätigkeit wahrlich nicht. Da sollte man doch meinen, dass die Damen und Herren in den Magistraten danach trachten eine gute Balance zu finden zwischen dem Sinnvollen und dem Notwendigen.

Doch weit gefehlt, scheinbar einem anhaftenden Beamtengen folgend, möglicherweise aber auch dem politischen Auftrag der zuständigen Stadträtin gehorchend, werden noch mehr Unterlagen von den Projektwerbern angefordert, werden die Auflagen weit strenger ausgelegt als eigentlich notwendig, werden die Unternehmen meilenweit über die Grenze des Akzeptablen hinaus kontrolliert. Die Folge sind monatelange Wartezeiten bei Genehmigungen, teure Schallgutachten ohne Ende, mehrfach umgezeichnete Pläne und immer neue Forderungen, was noch zu berücksichtigen wäre. Bis zur Selbstaufgabe deckt sich die Beamtenschaft mit Niederschriften und Protokollen ein. Zum Drüberstreuen werden noch nächtliche Schwerpunktkontrollen gemeinsam mit Marktamt, Finanzpolizei, Feuerwehr und Gewerbereferat durchgeführt, um zu prüfen, ob auch alle Vorschriften eingehalten werden.

Da kann es schon vorkommen, dass die Musikanlage, trotz korrekter Plombierung des Lautstärkereglers, konfisziert wird, weil den Beamten die Lautstärke subjektiv zu hoch vorkommt. Was kann man dagegen schon machen? Oder der per vorhandenem Bescheid zugelassene Shishaofen, zur Vorbereitung der Kohle für Wasserpfeifen, von der Feuerwehr plötzlich als unzureichend abgesichert deklariert wird und damit sofort auszumachen ist. Das selbstverständlich am Samstagabend bei Vollbetrieb. Die Kontrolle der Mitarbeiter, ob diese auch alle richtig angemeldet sind, dabei aber das Service bei vollem Lokal zum Erliegen kommt, ist da schon fast Nebensache.

Kontrolliert wird vom Marktamt unter anderem auch gerne in Küche, Kühlhaus oder Lager, ob die Kühlschrankdichtungen oder sonstige Einrichtungen auch gut gereinigt sind. Das ist grundsätzlich in Ordnung und zu begrüßen, aber bitte nicht immer während des Mittagsgeschäftes. Die möglicherweise zu entdeckenden Mängel sind nach dem Geschäft auch noch vorhanden und könnten ohne Störung des Betriebes kontrolliert werden. In anderen Ländern müssen übrigens Kontrollen der Behörde dem Betreiber vorab angekündigt werden.

Es kann natürlich sein, dass bei einer Schanigartenkontrolle einige Blätter der Pflanzen über die genehmigte Fläche hinausragen oder die vorgeschriebenen Begrenzungsnägel oder gar das PSST-Schild fehlt. Das sind Vergehen, die in Summe einen sofortigen Entzug der Schanigartengenehmigung zur Folge haben. Laut Gesetz ist die Genehmigung ab 2 Übertretungen, egal wie schwerwiegend, zu entziehen. Welch kranker Gesetzgeber hat das beschlossen?

In einem Fall wurde dem Einspruch des Unternehmers wegen solcher Bagatellverstöße vom Verwaltungsgericht recht gegeben und die ausgesprochene 5-jährige Sperre aufgehoben. Die Behörde hat tatsächlich gegen dieses Urteil Einspruch erhoben, kann man sich das vorstellen? Erst in zweiter Instanz wurde die Sperre endgültig aufgehoben. Verwarnungen mit Frist zur Beseitigung des Mangels gibt es grundsätzlich keine mehr. Es wird ohne Kommentar sofort gestraft was das Zeug hält. Zum Beispiel wird für eine nicht korrekt angebrachte Firmenbezeichnung oberhalb der Eingangstüre € 200 verrechnet. Das ist noch eine Kleinigkeit im Vergleich zu hunderten Euro Strafe wenn ein Raucherpickerl fehlt. Das nennt man dann „Budgetsanierung à la Vienne“.

Der Unternehmer als Feind.

Im Gespräch durchaus verständnisvoll und kooperativ hat die eine der beiden zuständigen Damen in der Stadtregierung scheinbar keine Ahnung was in ihren Magistraten abgeht. Die zweite Dame nützt die ihr zugeteilten Behörden fast schon brutal zur Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen. Das bedeutet – Kontrollen ohne Ende und rechtlich fragwürdige Verordnungen.

Eines muss schon klar sein, die Gastronomen sind auch keine Unschuldslämmer. Im Rahmen des immer enger werdenden Korsetts an irren Vorschriften versuchen sie herauszuholen was nur geht. Das leider in einem nicht immer freundlichen Umgangston, was ebenfalls zu verurteilen ist.

So wie der Unternehmer von allen Seiten mit Auflagen und Vorschriften bombardiert wird und damit völlig überfordert ist, stecken die zuständigen Beamten und Beamtinnen
ebenfalls in ihrem Viereck an Vorgaben und Erwartungen fest, wie in einer Falle. Erstens kommt aus dem Stadtratsbüro der klare politische Auftrag, zum Beispiel die Einhaltung der Anrainerrechte bei Genehmigungen an oberste Stelle zu setzen. Diese stellen logischerweise die Mehrheit der Wähler. Zweitens, zwingt das engmaschige Netz an Gesetzen die Beamten in die Rolle der unerbittlichen Behörde, denn es ist ihr Auftrag, die Vorschriften zu exekutieren. Drittens, setzen betroffene Anrainer, meist gleich mit Anwalt, die Beamten vor Ort im Genehmigungsverfahren mittels Androhung einer Amtshaftungsklage derart unter Druck, dass diese kaum auskönnen. Ach ja, und dann gibt es Viertens auch noch den Unternehmer als Antragsteller, der seine Vorstellungen ebenfalls, so weit wie möglich, erfüllt sehen will.

Das Resultat sind übervorsichtige Beamte, die um sich ja abzusichern die Auflagen zur Erteilung einer Genehmigung derart in die Höhe schrauben, dass die Finanzierung nahezu unmöglich wird und das Verfahren ewig dauert. Die großartige politische Ankündigung vom One-Stop Genehmigungsverfahren, das innerhalb von 4 Monaten erledigt sein soll, ist nichts anderes als der traurige Beweis, dass Oben schon lange keine Ahnung mehr hat was Unten abgeht. Ich habe den Eindruck, es ist ihnen auch herzlich egal.

Hinter dem Wahnsinn steckt Methode! Die Gesetze werden durch sogenannte „Kann Bestimmungen“ mit großer Auslegungsfreiheit für den Beamten geschrieben. Was im ersten Eindruck sinnvoll erscheint, Vorgaben flexibel gestalten zu können, ist in Wahrheit die Grundlage für fehlende Rechtssicherheit für den Unternehmer und, gemäß unserer monarchischen Historie, auch die Basis der Macht der Beamtenschaft. Auch im 21. Jahrhundert ist der Unternehmer Bittsteller gegenüber der Behörde. Was von dieser natürlich vehement bestritten wird. Die Erfahrung lehrt anderes.

Über allem schwebt das Diktat der Wählerstimme, beginnend im Bezirk, denn die ansässigen Betriebe sind dort nicht wahlberechtigt und damit nahezu immer Zweiter. Fairerweise muss ich sagen, dass manche Bezirksvorsteherinnen eine leuchtende Ausnahme sind, während andere Bezirksvorsteher es heftig übertreiben. Auf Gemeindeebene wird die Fackel der „lebenswertesten Stadt“ derart hoch gehalten, dass jegliche unternehmerische Kreativität und da eignet sich die Gastronomie besonders dafür, am liebsten gleich ganz tot gemacht wird. Eine mögliche Lärmbelästigung durch laute Gäste oder Musik geht gar nicht, denn wir sind ja bitte keine Weltstadt sondern Kurort. Ab 23:00 Uhr wird es grimmig für die Gastronomen. Eigentlich schon vorher, dank sogenannter Lärmkarten mit Dezibelhöchstgrenzen für jede Gasse in der Stadt. Dass es auch Betriebe gibt, die sich um gar nichts kümmern und die Gäste laut sein lassen wie sie
wollen, muss allerdings ebenfalls erwähnt werden.

Was es braucht sind, wieder einmal, mutige Politiker, die klar erkennen, dass am Ende die Wirtschaft die Stadt am Leben erhält. Dass sie den Mut haben, nicht nur auf die Wählerstimmen zu schielen, sondern ihren Bürgern auch deutlich machen, dass eine Großstadt eben kein Kurort ist. Dass Gesetze klar zu schreiben sind, damit es bei der Auslegung keine Diskussionen gibt. Dass wir uns gegenseitig mehr vertrauen sollten und endlich die Regulierungswut beenden, die nicht nur das System schädlich verlangsamt, sondern auch das Verhältnis zwischen der Behörde und dem Unternehmer auf das Schwerste belastet. Dass die Wiener Stadtregierung nicht auf Kosten der Unternehmer Opposition zur Bundesregierung spielen soll. Und noch sehr viel mehr.

Übrigens, fragt ein Unternehmer die kontrollierenden Beamten, warum sie ihn so quälen? Die Antwort mir geschwellter Brust: „Weil wir es können!“

Euer
Peter Dobcak