Hype Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

Gastro News

Gluten-, laktose- oder histamininterlant: kaum ein Mensch hat heute keine Nahrungsmittelunverträglichkeit

Wien (Culinarius/TP/OTS) – Bei der UEG-Week, dem europäischen Kongress der Gastroenterologen, die von 15.-19. Oktober im Austria Center Vienna abgehalten wird, diskutieren 9.000 WissenschaftlerInnen und IndustrievertreterInnen über Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Zentrale Themen dabei sind das Aufspüren von Nahrungsmittelallergien und die Zunahme von Unverträglichkeiten. Trendthema, Wirtschaftsmotor der Lebensmittelindustrie oder wahres Gesundheitsproblem der heutigen Generation?

Deutliche Zunahme an Unverträglichkeiten bei Personen zwischen 20-30 Jahren

Auslöser neben genetischer Vorbelastung auch Stress und falsche Ernährung

Nur 1 bis 3 Prozent der erwachsenen ÖsterreicherInnen haben tatsächlich eine Nahrungsmittelallergie

Gesunder Darm durch natürliche Lebensmittel, bewusste Zubereitung, Genuss und ausreichend Bewegung

IgG4-Tests sind nicht hilfreich

Professor Dr. Alexander Moschen von der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin beobachtet den Trend schon lange und stellt fest: „Wissenschaftlich erwiesen ist: der Darm hat einen wesentlichen Einfluss auf unsere Gesundheit. Doch der Hype ist nicht gerechtfertigt. Nicht jeder Mensch, der hin und wieder Verdauungsprobleme hat, hat automatisch eine Unverträglichkeit geschweige denn eine Allergie.“

Der Schlüssel zu einem gesunden Darm
Nahrungsmittelallergien, Unverträglichkeiten und die gesündeste Ernährungsform sind Streitthemen, Wirtschaftsfaktoren und Teil der gesellschaftlichen Selbstoptimierung.
„Eigentlich ist es ganz einfach. Für einen gesunden Lebenswandel sollte man Wert auf regionale und natürliche Lebensmittel legen, sich Zeit für die Nahrungsaufnahme nehmen und sich ausreichend bewegen – so kommt der Darm ganz alleine gut zurecht. Unsere Verdauung hat die letzten Jahrtausende ohne viel Aufmerksamkeit funktioniert und wird auch in Zukunft gemeinsam mit unserem Mikrobiom ihre Arbeit machen“, so Moschen. Bewusstsein für Lebensmittel und Genuss sei auch hier der Schlüssel zum Erfolg. „Fertigprodukte mit Zusatzstoffen können die Darmschleimhaut schädigen und diese durchlässiger für Allergene machen. Aber auch das typische ‚nebenbei essen‘ hat einen negativen Einfluss auf unsere Darmgesundheit“, erklärt der Gastroenterologe.

Stress und Convenience Produkte schädigen unser Verdauungssystem
Moschen weist auf eine deutliche Zunahme an Unverträglichkeiten, Allergien und entzündlichen Darmerkrankungen hin. Insbesondere bei Menschen zwischen 20 und 30 Jahren sei eine Steigerung von mehreren Prozent ersichtlich. Insgesamt geht man in Österreich von ein bis drei Prozent PatientInnen mit Nahrungsmittelallergien und insgesamt ca. 40.000 bis 50.000 PatientInnen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen aus.
„Auslöser sind neben einer genetischen Disposition zum größten Teil Umweltfaktoren. Ernährung, Stress und die Lebenssituation der PatientInnen haben großen Einfluss auf ihr Verdauungssystem.“ Studien belegen, dass unter anderem ein Wohnortwechsel und die damit verbundene Änderung des Ernährungsstils die Darmflora und das Auftreten von Erkrankungen beeinflusst. Auch die oftmalige Umstellung von Ernährung oder spezielle Diäten sind bei einer schon vorhandenen Neigung zu Unverträglichkeiten mit unter kontraproduktiv.

Alarmierende Anzeichen nicht ignorieren
Bei länger anhaltenden Verdauungsproblemen und Durchfall – 3 Monate sind hier ein ungefährer Richtwert – sowie Alarmzeichen, wie Blut im Stuhl, Gewichtsverlust oder nächtlichen Symptomen sollte man einen Arzt aufsuchen. „Meist treten Beschwerden bei Unverträglichkeiten verzögert, also einige Stunden bis zu einem Tag nach der Aufnahme der nicht verträglichen Nahrung auf. Bei Allergien fast immer sehr viel rascher nach Kontakt.“ Durch das ärztliche Gespräch und eine gezielte Diagnostik wird versucht die zugrundeliegenden Ursachen der Beschwerden einzugrenzen. Moschen: „Bei Unverträglichkeiten finden sich in der Regel ein unauffälliger Bluttest, eine gute Resorption und negative Entzündungswerte insbesondere in der Stuhlprobe, sowie ein blankes Schleimhautbild in der Endoskopie. Durch gezielt gesetzte Maßnahmen ist es meist möglich den Leidensdruck des Betroffenen zu senken.“

Richtiger Umgang mit Unverträglichkeiten
Bei der Diagnose von Unverträglichkeiten ist eine Eliminationsdiät ein guter Anfang. „Am besten sollte man mit einer Diätologin einen Ernährungsplan erarbeiten und über einen längeren Zeitraum auf die auslösenden Lebensmittel verzichten, um herauszufinden, wodurch die Symptome verursacht werden. Leider gibt es hier häufig keine schnelle Lösung. Von ungezielten Screening Tests unter anderem IgG4-Tests wird prinzipiell abgeraten. Ein positiver Wert erlaubt hier keinesfalls einen Rückschluss auf eine Pathologie, unter Umständen sogar eher das Gegenteil. Häufiger Effekt solcher Tests ist aber die Verunsicherung des Patienten, welche zu weiterer fragwürdiger Diagnostik und teuren Therapieversuchen führt. Auch die Bestimmung der Zusammensetzung und Diversität der Darmflora hat derzeit außerhalb von Studien keine Relevanz für die klinische Diagnostik“, so Moschen.

Allheilmittel in weiter Ferne, individuelle Beratung gefragt
„Ein Allheilmittel wird es wahrscheinlich nie geben. Die Darmbesiedelung jedes Menschen ist einzigartig und von unglaublich vielen Faktoren abhängig. Einseitige Ernährung ist aber keinesfalls zielführend, auch spezielle Diäten wie z.B. „Paleo“ sind nicht für jeden geeignet. Ein erfolgsversprechender Weg ist eine gezielte Diagnostik mit Augenmaß auf der Grundlage der klinischen Symptomatik, ein fundiertes ärztliches Gespräch und die Zeit, die richtige Methode für sich zu finden und sich langsam an einen verträglichen Nahrungsstil heranzutasten“, so Moschen.

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