Turecek: „Jeden fünften Unternehmer, dem Sie heute die Hand schütteln, gibt es nächstes Jahr nicht mehr.“

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Das Do & Co im Albertina Museum ©Gastro.News

Wien (Culinarius) – Wilhelm Turecek wurde vor gut einem  Jahr als erster „roter“ stellvertretender Vorsitzender des Fachverbands Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) gewählt. Im Gespräch mit gastronews.wien zieht er nun eine Zwischenbilanz, spricht über mögliche künftige Entwicklungen in der wiener Gastronomielandschaft und  was er an ihr ändern würde.

„Herr Turecek, wenn Sie nun Bilanz ziehen: Was hat sich Ihrer Meinung nach in diesem ersten Jahr durch Ihr Wirken getan?“

„Die größte Errungenschaft, welche ich in Partnerschaft mit einigen jungen SPÖ-Gemeinderäten und Unterstützung des Bürgermeister geschafft habe, ist eine vollkommen neue Betriebsart: „Clublounge und Diskothek“ – diese Klassifizierung ermöglicht es Betrieben, ihre Pforten bis 6 Uhr morgens geöffnet zu lassen. Allerdings musste ich dieses Nachtgeschäft erst kennenlernen, denn ich konnte zu Beginn nicht ahnen, dass so ein großer Bedarf  beziehungsweise Interesse seitens der Betreiber aber auch der Gäste bestand. Ich nenne dieses Konzept auch nicht „Sperrstundenverlängerung“, sondern sehe es eher als eine neue Betriebsart. Wesentliches Argument der Verhandlungen war die Tatsache, dass die Besucher mehr Lärm verursachen, wenn sie die Lokale um 4 Uhr morgens verlassen, als um 6 Uhr früh – denn da beginnt Wien bereits wieder zum Leben erwachen – die morgendliche Berufs-Rushhour beginnt langsam einzusetzen und die Lieferanten beginnen ihre Waren auszuladen. Essentielle Hilfe leistete hier die MA 22 – diese unterstützte unsere Argumentation mit mehreren Dezibelmessungen und einer Lärmkarte von Wien.“
„Gibt es Entwicklungen in der Wiener Gastronomie, welche Ihnen Kopfzerbrechen bereiten?“

„Ja, das per 01.05.2018 in Kraft tretende Tabakgesetz. An diesem Tag ist das Gesetz genau 10 Jahre alt, was wiederum bedeutet, dass Abschreibungen für die Investitionen auf Seiten der Wirte hinfällig werden. Darüber hinaus möchte ich auf die Zwickmühle in der sich Wirte, welche bis jetzt keinen Raucherbereich haben, verweisen: Diese stehen nämlich mit der Gewerbeordnung im Konflikt weil sie sämtliche Raucher gezwungenermaßen vors Lokal schicken müssen. Das wiederum verursacht Lärm – und dieser wird laut Verordnung dem Lokal zugerechnet. Das ist das grundlegende Problem, welches wir haben. Es ist schwer vorauszusagen, wie nun die weitere Entwicklung aussehen wird. In Bezug auf Wien ist der derzeitige Stand derzeit folgender: Renate Brauner hat vier Klassifikationen für die Schanigärten in unserer Stadt erstellt. Die niedrigste Klassifikation umfasst einfache Stehtische vor Lokalen ohne Service oder Ähnliches – dies würde aber bereits ermöglichen die Gäste zum Rauchen offiziell rauszuschicken.  Zusammenfassend geht es mir hier um 2 essentielle Punkte: Erstens, das Rauchen vor dem Lokal zu legalisieren und zweitens, dass der dabei entstehende Lärm nicht dem Betreiber angerechnet wird.  Die Wurzel der Problematik bildet hier die finanzielle Decke der Klein- und Kleinstbetriebe.  Besonders bei ihnen besteht die Klientel aus rund 90% Stammkunden – und von diesen sind es wieder 90% die rauchen. Wenn dieses strenge Rauchverbot kommt, wird von diesen Stammgästen die Hälfte aus Protest fernbleiben. Dies wird unterm Strich zum wirtschaftlichen Tot vieler kleiner Gastronomiebetriebe führen – ich sehe rund 2000 von ihnen akut gefährdet. Daraus entwickelt sich ein weiteres Problem: Im Gegensatz zu ländlichen Gegenden Österreichs, wird in Wien die Lokalität in 2 von 3 Fällen von Drittstaatsangehörigen übernommen – ich nenne es das „Brunnenmarkt-Syndrom.“ Besonders unter den türkischstämmigen Betreibern gibt es fast eine Mafia, welche mit gewitzten Rechtsanwälten versuchen, Gesetzeslücken auszunutzen um eigentlich nicht zur Bebauung freigegeben Flächen von der Stadt Wien zu erstehen. Sobald die Bewilligung gegeben wurde und der Imbissstand errichtet wurde, beginnen die Hintermänner diese wieder an eigene Landsleute  weiterzuvermieten, wodurch diese in der Lage ist, abzukassieren ohne selbst zu arbeiten.  Das Problem dieser Neueröffnungen bzw. Übernahme ehemaliger Würstelstände ist der Fakt, dass dieser eben erwähnte Zustand nicht aufzuhalten ist, da die Gastronomie die höchste unternehmerische Fluktuationsrate aller Branchen österreichweit hat. Jedem fünften Unternehmer dem Sie heute die Hand schütteln gibt es nächstes Jahr nichtmehr.“

Auch bezüglich der Registrierkassenpflicht hat Wilhelm Turecek bedenken: „Es gab Vertreter verschiedener Sparten, welche in Interviews gemeint haben, Registrierkassen sind ein Segen. Diesen Segen wünsche ich mir nicht für die Gastronomie. Zwar haben Groß- und Mittelbetriebe ohnehin schon immer dieses System gehabt, jedoch sehe ich für Klein- und Kleinstbetriebe ein wesentliches Problem: Bereits die Investition in eine derartige Vorrichtung kann für diese (teilweise) Ein-Mann-Betriebe existenzgefährdend werden: Bei einem Preis von 1000-2000 Euro kann es dann schon passieren, dass es unmöglich wird die Geschäftsmiete und Betriebskosten zu decken.“

„In Bezug auf die Zukunft: Welche Pläne, Vorschriften und Neuregelungen verfolgen Sie für die wiener Gastronomie? Was denken Sie, welche Entwicklungen kommen die nächsten Jahre auf die wiener Gastro-Szene zu?“

„Ich erwarte definitiv eine Verstärkung des „Brunnenmarkt-Syndroms“ – also ein Anwachsen der Gastronomiebetreiber aus Drittländern. Eine Entwicklung Weg von den Wienerinnen und Wienern – der klassische Würstelstand wird zwar nicht aussterben, aber es wird definitiv zu einer Dezimierung der österreichischen Wirtshäuser und der klassischen Würstelstände kommen. Auch in Bezug auf die derzeit diskutierten ganzjährigen Schanigarten-Öffnungszeiten bin ich der Meinung, dass diese für die Mehrheit der Gastronomiebetriebe kein Thema darstellen. Seit der letzten Schanigarten-Reform konnten wir besonders im ersten Bezirk verfolgen, dass sich die monatlich flexiblen und verlängerten Öffnungszeiten gerade für die kleinen Betriebe nicht rechnen – dies ist auch anhand von Zahlen belegt. Eine ganzjährige Öffnung rechnet sich nur für Großbetriebe, welche an stark frequentierten Plätzen ihren Betrieb haben. Wir sprechen hier von 2700 Schanigärten – davon ist die erweiterte Öffnungszeit lediglich für 10% der Betriebe relevant. Gerade nämlich die kleinen Betriebe nehmen die neuen Öffnungszeiten kaum in Anspruch, welche seit der letzten Reform gelten.“

„Was würden Sie gerne an der Wiener Gastronomie ändern? Was missfällt Ihnen in unserer Gastronomielandschaft?“

„Alle Arbeiten, welche nicht unmittelbar mit der Gastronomie, dem Service oder dem direkten Verkauf zu tun haben. Angefangen bei einfachen Tasks, wie einer Kühlhausdokumentation bis hin zur Allergenverordnungen, da die Köche durchgehend gezwungen werden, ihre Speisenkonzeptionen mit speziellen EDV-Programmen zu überprüfen – also eben klassische Bürokratie. Der Gastronom soll sich ausschließlich um das Wohl des Gastes kümmert, ohne dieses ganze drum herum. Weiteres wundere ich mich auch ab und zu über die Kontrolltätigkeiten des Marktamtes. Ich lese von Anzeigen, welche hanebüchen sind. Denn wo gehobelt wird fallen auch Späne – es ist klar, dass eine Küche im Betrieb nicht pikobello sauber sein kann. All diese Begehungen seitens des Marktamts, die Beanstandungen und die Bearbeitung dieser Vorfälle verschlingen Ressourcen wie Zeit, Geld und Personal. Daher bin ich der Meinung, dass wir den Strafrahmen für die Betriebe vielleicht etwas lockern sollten.“

Zusammenfassend kann man also sagen, dass viele dieser Neuregelungen in der Zukunft gerade den Klein- und Kleinstbetrieben die Luft abschnüren. „Und das beobachte ich mit Sorge, da wir gerade diese Unternehmen vertreten wollen.“, sagt Turecek abschließend.

 

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